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Lily Zografou: Die Frauen der Familie Ftenoudos

  857 Wörter 3 Minuten 931 × gelesen
2017-01-11 2022-09-07 11.01.2017
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Lily Zografou

1994 veröffentlichte der Athener Alexandreia Verlag Lily Zografous wohl erfolgreichsten Roman "I agapi argise mia mera". Vier Jahre später wurde er für das griechische Fernsehen verfilmt, bis heute erreichte er eine Verkaufsauflage von mehr als 130.000 Exemplaren. Jetzt ist im Verlag Dr. Thomas Balistier Zografous wohl bekanntestes Buch als erstes ihres Gesamtwerkes unter dem Titel "Die Frauen der Familie Ftenoudos" in deutscher Übersetzung erschienen.

"Von meinen 24 Büchern", so die Autorin, "hat mir dieses die meisten Schmerzen bereitet. Man könnte es als Liebesgeschichte bezeichnen, wenn nicht die unmenschliche Härte dieser patriarchischen Familie vorherrschte. Die Hauptfiguren sind Frauen, die sich verhalten wie es sich gehört, die ihr Leben an gesellschaftliche Gepflogenheiten verschwenden und die keinerlei Liebesleben führen." Lily Zografou erzählt eine kretische Geschichte, die während des 2. Weltkriegs in einem Dorf auf der Insel beginnt, und die sich wie ein nicht nur zauberhaftes, sondern auch sehr grausames Märchen entwickelt. Die Frauen der Familie Ftenoudos trotzen den überaus harten Lebensverhältnissen in die sie geboren wurden auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Sie alle warten geduldig auf die Ankunft der großen Liebe, aber nur eine gibt sich ihr rückhaltlos hin. Mit gerade 14 Jahren verliebt sich die jüngste Tochter Erato in einen italienischen Soldaten, der sich in der Weinpresse des Hauses versteckt hält. Sie wird schwanger und gebärt eine Tochter namens Amalia, die als ihre Schwester ausgegeben wird. Für Erato beginnt ein langer Leidensweg, doch niemandem gelingt es, ihre Persönlichkeit zu brechen. Ihre Tochter hingegen wächst ganz im Sinne der Tradition heran, beugt sich bereitwillig dem Familienwillen und entwickelt ihr Leben lang keine Individualität. Lily Zografou erzählt ungeschminkt, wie stark das Dorfleben durch Konventionen geprägt wird, spart aber nicht mit einer beinah grotesken Komik bei der Schilderung der schrulligen Schwestern oder Amalias missglückter Hochzeitsnacht.

Sie selbst sagt 1997 in einem mit der Zeitschrift "Gynaika" geführten Interview zur Entstehung des Buches: "Ich hatte in Neapolis sieben Tanten, die genau wie die Hauptfiguren des Buches fast alle Jungfern waren. Sie waren tragische Gestalten, die ich verehrte und derer ich mich bedient habe. Ich habe ihr Dasein, das so anders als das unsere war, in der Absicht verwendet, es eines Tages zu Papier zu bringen. Diese Tanten waren durchweg größenwahnsinnig – auch dieses Verhalten kommt im Buch stark zum Tragen – und deshalb gefiel es ihnen sehr, dass ich schriftstellerisch tätig war, und sie fühlten sich geschmeichelt, wenn ich ins Dorf kam, um sie zu besuchen. Sie lebten in einem Haus, das genauso alt war wie sie selbst. So fing ich an den Roman zu schreiben. Dabei bin ich auf eine große Schwierigkeit gestoßen, die Einsamkeit. Einsamkeit hat keine Handlung, sie lässt sich nicht beschreiben."

Lily Zografou wurde 1922 in Milatos auf Kreta geboren. Ihr Vater, Andreas Zografou, war ein bekannter Journalist, Herausgeber der Zeitung "Anorthosis" (Wiederaufbau) und zeitweilig Presseminister Griechenlands. Nach einem Philologiestudium, unter anderem an der Sorbonne in Paris, arbeitete sie zunächst als freie Journalistin für diverse Zeitungen und Literaturzeitschriften. 1949 erschien ihr erstes Buch "Agapi" (Liebe), eine Sammlung von Kurzgeschichten. 1959 veröffentlichte sie eine Abhandlung über Nikos Kazantzakis, dem Verfasser von "Alexis Sorbas" und einem der angesehensten Schriftsteller Griechenlands, in der sie sich so kritisch mit ihrem Landsmann auseinandersetzt, dass ihr Vater sich zunächst nicht mehr mit ihr auf die Straße traute.

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Insgesamt publizierte Lily Zografou 24 Titel: Romane, Kurzgeschichten und Essays, unter anderem 1961 "Kai to chrysafi ton kormion tous" (Und das Gold ihrer Körper), 1978 "Epangelma Porni" (Von Beruf Hure), 1983 "Mou servirete ena vasilopoulo parakalo" (Servieren Sie mir bitte einen Königssohn), 1984 "I gynaika sou i alitissa" (Deine Frau, die Herumtreiberin) und 1987 "I Sybaritissa" (Die Genusssüchtige). Sie beschäftigt sich in ihnen vornehmlich mit der Rolle der modernen Frau und ihrem Kampf für Emanzipation und Unabhängigkeit. Gerade die Figur der Erato in "Die Frauen der Familie Ftenoudos" lässt spüren, dass diese Unabhängigkeit eine Frage des Bewusstseins und nicht der äußeren Umstände ist.

Obwohl die Schriftstellerin sich selbst als "leidenschaftliche Antifeministin" bezeichnete, hatte sie diese Unabhängigkeit verinnerlicht und lebte sie bis zu ihrem Tod: Sie heiratete drei Mal, ließ sich ebenso oft scheiden, hatte unzählige Beziehungen und galt als Freigeist – also als Feministin im eigentlichen Sinn des Wortes. Sie starb 1998 in Iraklion im Alter von 76 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls.

Lily Zografou ist sicherlich nicht nur eine der beliebtesten Schriftstellerinnen der griechischen Nachkriegszeit, sondern auch eine der meistverkauften. Dennoch wurde sie zeitlebens von den Literaturkritikern ignoriert. Der Schriftsteller Vasilis Vasilikos ("Z") bemerkte zu diesem Widerspruch: "In der Literatur wird sie mit ihren bahnbrechenden, nonkonformistischen Werken unvergessen bleiben. Geliebt von einer großen Leserschaft und missachtet von den offiziellen Kritikern, da alle Schriftsteller, die gelesen werden, verdächtig sind..."

Im Gegensatz zu ihrem Heimatland ist Lily Zografou in Deutschland bislang weitgehend unbekannt. Mit der Veröffentlichung von "Die Frauen der Familie Ftenoudos" wird diese außergewöhnliche griechische Schriftstellerin nun erstmals auch einem deutschen Publikum zugänglich.


Lily Zografou, Die Frauen der Familie Ftenoudos
Aus dem Griechischen von Sawina Kordistos
134 Seiten, 14,80 Evro,
ISBN 3-937108-01-7
Verlag Dr. Thomas Balistier